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Das Werben um junge Ärzte wird forciert

02. 10. 2023

Das Problem erkennt man erst auf den zweiten Blick: 161 Hausärzte zählt die kassenärztliche Vereinigung Bayerns im Passauer Land. Versorgungsgrad: über 100 Prozent. Aber: "In naher Zukunft kriegen wir ein Problem", sagt Lisa Fraunhofer, Geschäftsführerin der Gesundheitsregion plus Passauer Land.

 

Viele Hausärzte stehen vor dem Ruhestand, Medizinernachwuchs ist rar – in Praxen und Kliniken. Nun wird das Werben um die jungen Ärzte gemeinsam forciert.

 

Problem 1: Der Versorgungsgrad sagt nichts über die Zukunftssicherheit aus. So ist der Planungsbereich Pocking/Ruhstorf überversorgt mit Hausärzten: 141 Prozent. Doch die 59 Mediziner haben ein Durchschnittsalter von 58,4 Jahren, 32 sind 60 oder älter. "In naher Zukunft werden viele Nachbesetzungen nötig", berichtet Fraunhofer. Doch Praxisnachfolger sind schwer zu finden. Die Zahl der Studienplätze ist begrenzt. In der Folge wächst die Konkurrenz um die Ärzte. Wichtiger sei es, früh zu handeln.

 

Schon Studenten werden in die Region gelockt

 

Sonst droht Problem 2: Die Versorgungsgrade der Planungsbereiche im Landkreis – alle über 100 Prozent – sagen nichts über die Versorgung einzelner Gemeinden aus. Laut KVB hatten Stand Januar sieben Gemeinden keinen Hausarzt, darunter Thyrnau. Im August 2021 waren dort im Versorgungsatlas noch zwei eingetragen. Die Praxis in Kellberg schloss im Sommer, jene in Thyrnau im Herbst; die Sitze wurden im Planungsgebiet anderweitig vergeben. Thyrnau steht ohne Arzt da, der Planungsbereich ist mit 123,87 Prozent aber überversorgt. "Das Thema ist bei vielen Bürgermeistern sehr präsent", weiß Fraunhofer.

 

Doch nicht nur Hausärzte und Bürgermeister suchen Medizinernachwuchs. Auch die Kliniken werben um junge Ärzte. Was nach Wettbewerb klingt, wird in der Gesundheitsregion zur gemeinsamen Aufgabe. Beispiel: Die Landkreis Gesundheitseinrichtungen bilden mit niedergelassenen Ärzten im Passauer Land den Weiterbildungsverbund Allgemeinmedizin. Ziel ist, die Weiterbildung zeitlich und regional zusammenhängend zu ermöglichen. Josef Mader, Geschäftsführer der Kreiskliniken, berichtet: "Mehrere Ärzte, die bei uns ihre Weiterbildung durchlaufen haben, haben sich im Landkreis oder Nachbarlandkreisen als Hausärzte niedergelassen oder arbeiten als angestellte Ärzte in Hausarztpraxen."

 

Schon Studenten werden umworben. In Workshops lernen sie die Kliniken kennen, besuchen aber auch die Thermen, gehen Wandern oder mit dem Landrat essen. Das macht Eindruck, wie Lisa Fraunhofer sagt: "An größeren Kliniken nimmt man von ihnen kaum Notiz. Sich wertgeschätzt und willkommen zu fühlen, ist ein Faktor, den man nicht unterschätzen darf."

 

Die Studenten bekommen auch ein Rahmenprogramm geboten

 

Zuletzt betreute die Kinderklinik Dritter Orden in Passau Blockstudenten der TU München. Die Partnerschaft mit der TUM brachte 2021/2022 zwölf angehenden Medizinern die Region näher. Laura Teufel, medizinische Lehrbeauftragte der Kinderklinik, ist sicher: "Ein fachlich hoch qualitatives Haus sowie eine höchst lebenswerte Region. Mit diesen Standortfaktoren kann man nur punkten." Die Studenten lernen die Kinderklinik kennen, besuchen eine Kinderarztpraxis und bekommen Rahmenprogramm geboten. Stadt und Landkreis unterstützen das Projekt, zum Beispiel indem Unterkunft und Kosten übernommen werden.

 

Die Studenten sind begeistert, wie die Kinderklinik berichtet. Ein Blockpraktikant sagt: "Die kümmern sich alle um uns, und wir dürfen sehr viel sehen und selber machen." Um den Kontakt zu halten, will Lisa Fraunhofer die Studenten regelmäßig mit Informationen aus der Kinderklinik und zu Möglichkeiten für den Medizinerweg im Landkreis versorgen. Kontakte und Information sind für sie die Schlüssel zur Problemlösung. Ein "Helfernetzwerk" ist bereits im Aufbau, das Informationen an zentraler Stelle bündeln und angehenden Medizinern gezielt Kontakte vermitteln soll.

 

Stipendienprogramm des Bezirks

 

Zur Kommunikationsstrategie gehört aber auch, Fördermöglichkeiten aufzuzeigen, wie das Stipendienprogramm des Bezirks. Eine Umfrage der Gesundheitsregion zeigte, dass sich Ärzte vor allem deshalb hier niederlassen, weil es sie in die Heimat zurückzieht. Hiesige Studenten zu unterstützen, ergibt also Sinn. Auch das Stipendienprogramm des bayerischen Gesundheitsministeriums hilft: Es schreibt eine fachärztliche Weiterbildung und eine anschließende mindestens fünfjährige Tätigkeit in einem Fördergebiet vor – der Landkreis erfüllt die Kriterien. Wer eine Hausarztpraxis übernimmt, kann eine Landarztprämie von bis zu 60000 Euro erhalten, wenn der Versorgungsgrad zwischen 100 und 110 Prozent liegt – wie derzeit in den Bereichen Hutthurm und Vilshofen.

 

INTERVIEW

 

Der Bedarf ist groß, die Suche aufwendig

 

Im PNP-Interview erzählt Josef Mader, Geschäftsführer der Kreiskrankenhäuser, wie die Kliniken um Ärzte werben.

 

2018, 2020 gab es Workshops für Medizinstudenten mit dem Ziel, sie für eine Tätigkeit hier zu gewinnen. Mit Erfolg?
Mader: Die Studenten haben unsere Kliniken kennengelernt. Auf den Programm standen aber auch ein Thermenbesuch oder eine Wanderung mit Dr. Peter Hück, HNO-Arzt aus Pocking. Auch die Region sollte möglichst attraktiv dargestellt werden. Bei uns beworben hat sich noch keiner der Studenten, sie studieren alle noch. Wir haben vor, diese Workshops nach der Pandemie wieder aufzunehmen. Zudem sind wir auf Messen und Veranstaltungen, zuletzt sogar im benachbarten Ausland. Und natürlich wird man sich im Zuge des geplanten Medizincampus Gedanken machen. In Rotthalmünster haben wir nun den Status als akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Regensburg. Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung stehen in der Wahrnehmung gegenüber Uni-Kliniken oft hinten an. Aber kleinere Strukturen bieten für Assistenzärzte häufig bessere Ausbildungsbedingungen und gute Entwicklungsperspektiven.

 

Profitieren Sie auch von staatlichen Stipendienmodellen?
Mader: Wir haben beschlossen, einen anderen Weg zu gehen, der uns nach unserer Überzeugung schneller voranbringt. Wir ermöglichen es aktuell drei Mitarbeitenden aus dem Pflegebereich, ein durch uns gefördertes Studium als Physician Assistent zu absolvieren. Dieser kann ärztliche Tätigkeiten auf Delegationsbasis übernehmen und ist im Tätigkeitsprofil mit dem eines Assistenzarztes in Weiterbildung vergleichbar. Dieses Berufsfeld wurde entwickelt, um dem sich verschärfenden Ärztemangel entgegenzuwirken.

 

Wie suchen Sie nach Ärzten?
Mader: Der Aufwand hat sich vervielfacht. Wir nutzen Print-Stellenanzeigen, Social-Media-Kampagnen, Headhunter, Jobmessen, Hospitationen und unsere interne Stellenvermittlungsbörse, mit der wir sehr erfolgreich sind. Hier erhalten Mitarbeiter Prämien, wenn sie Personal anwerben. Wir unterstützen jeden ausländischen Bewerber. Bayern ist eines der wenigen Bundesländer, in dem ausländische Ärzte mit einer Berufserlaubnis noch nicht mit der Weiterbildung zum Facharzt starten können, was viele dazu bewegt, woanders hinzugehen.

 

Was ist Bewerbern wichtig?
Mader: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird wichtiger. Aber auch die Bezahlung ist natürlich ein Punkt. Daneben spielen vor allem Aus- und Weiterbildung sowie Weiterentwicklungsmöglichkeiten eine Rolle. Wir haben eine Projektgruppe "Pro Gesundheit", die sich unter anderem um Mitarbeitergesundheit, eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie kümmert. Wir haben ein Führungskräfteentwicklungskonzept, um interne Aufstiegsmöglichkeiten zu verbessern, bieten Deutschkurse, helfen bei der Wohnungssuche etc.

 

Wie groß ist gerade der Bedarf?
Mader: In unseren Einrichtungen beschäftigen wir aktuell knapp 200 Ärzte. Vor allem im assistenzärztlichen Bereich müssen wir mittlerweile überwiegend auf ausländische Ärzte zurückgreifen und sind dankbar für ihre Bereitschaft, denn ohne sie wäre die stationäre medizinische Versorgung in unseren Einrichtungen nicht mehr denkbar. Die sehr limitierte Anzahl an Medizinstudienplätzen und der Numerus clausus spielen dabei eine sehr negative Rolle. Die Politik hat diese Problematik leider lange nicht wahrgenommen. Da Qualitätsanforderungen, Einschränkungen der Arbeitszeit und die Bürokratie entgegen aller Lippenbekenntnisse der Politik zunehmen, wird der Bedarf an Ärzten wohl eher noch deutlich steigen.

 

HAUSÄRZTE IM LANDKREIS PASSAU
(nach KVB-Versorgungsatlas Stand Januar 2022)

 

Fürstenzell (mit Neuburg am Inn, Neuhaus am Inn)
Zahl der Ärzte: 14
Durchschnittsalter: 55,9 Jahre
60 oder älter: 4
Versorgungsgrad: 111,81
Einwohner: 15.964

 

Hauzenberg (mit Thyrnau*, Obernzell, Untergriesbach, Wegscheid, Breitenberg, Sonnen)
Zahl der Ärzte: 27
Durchschnittsalter: 52,7 Jahre
60 oder älter: 6
Versorgungsgrad: 123,87
Einwohner: 34.776

 

Hutthurm (mit Tittling, Tiefenbach, Ruderting, Salzweg, Neukirchen v.W., Witzmannsberg*, Büchlberg)
Zahl der Ärzte: 26
Durchschnittsalter: 55,3 Jahre
60 oder älter: 10
Versorgungsgrad: 109,99
Einwohner: 35.822

 

Pocking/Ruhstorf (mit Haarbach*, Bad Griesbach, Tettenweis, Kößlarn, Bad Füssing, Malching*, Kirchham*, Rotthalmünster)
Zahl der Ärzte: 59
Durchschnittsalter: 58,4 Jahre
60 oder älter: 32
Versorgungsgrad: 141
Einwohner: 55.036

 

Vilshofen (mit Eging, Fürstenstein, Aicha, Windorf, Ortenburg, Hofkirchen*, Aldersbach, Aidenbach, Beutelsbach*)
Zahl der Ärzte: 35
Durchschnittsalter: 56,3 Jahre
60 oder älter: 18
Versorgungsgrad: 101,45
Einwohner: 51.856

 

*Gemeinde ohne eigenen Hausarzt

 

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