Hand aufs Herz - wüssten Sie im Notfall was zu tun ist?

26. 08. 2022

Sie sind Todesursache Nummer eins in Bayern: Erkrankungen von Herz und Kreislauf. Eine Kampagne soll nun über Risiken und Vorbeugung aufklären. Auch im Landkreis Passau ist viel geplant.

Lkr. Passau. Die häufigste Todesursache in Deutschland ist der Herz-Kreislaufstillstand. "Ursächlich ist häufig eine Herzerkrankung, zum Beispiel ein Infarkt", sagt Dr. Heidi Brandl, Ärztin am Gesundheitsamt Passau und Leiterin der Abteilung Prävention und Gesundheitsförderung. Nach Angaben des Deutschen Reanimationsregisters erleiden mindestens 60000 Menschen pro Jahr in Deutschland einen Herzstillstand außerhalb des Krankenhauses, nur jeder zehnte überlebt. "Wenn mehr Menschen unverzüglich Wiederbelebungsmaßnahmen einleiten würden, könnten sich die Überlebenschancen verdoppeln bis verdreifachen", sagt Heidi Brandl.

Ein Profi in Sachen Wiederbelebung ist Klaus Achatz, Leiter Rettungsdienst beim BRK Passau. Im Gespräch mit der PNP erklärt er, wie auch ein Laie mit etwas Mut Leben retten kann.

Können Sie sich noch an Ihren ersten Erste-Hilfe-Kurs erinnern?
Achatz: Das war 1978 in der 9. Klasse. Damals war der Rettungsdienst noch nicht so gut entwickelt wie heute, das Notarztsystem und die Leitstelle waren noch sehr jung. Es gab noch nicht viele Fahrzeuge. Die, die es gab, waren langsam und die Straßen schlecht ausgebaut. Zu meinem Wohnort in Riedlhütte hätte der Notarzt aus Grafenau bestimmt mindestens 45 Minuten gebraucht.

Wie ist es heute?
Achatz: Heute muss die Erste Hilfe in Bayern noch etwa zehn Minuten überbrücken. Für Ungeübte gilt die Regel "checken – rufen – drücken", soll heißen: Atmung prüfen, Hilfe rufen und gegebenenfalls Herzdruckmassage aufnehmen. Ziel ist vor allem, die Hemmschwelle, mit der Reanimation zu beginnen, abzubauen. Seit 2015 gibt es deshalb bayernweit die sogenannte Telefon-Reanimation. Dabei leitet ein Mitarbeiter der Integrierten Leitstelle den Ersthelfer am Telefon an. Das war ein großer Schritt. Der Anteil der Wiederbelebungen ist seitdem gestiegen.

In welchen Abständen sollte man seine Erste-Hilfe-Kenntnisse auffrischen? Und tun das viele?
Achatz: Europaweit wird schon lange über eine Wiederholung alle drei Jahre diskutiert. Aus meiner Sicht wären fünf Jahre ein guter Zeitraum. Die Berufsgenossenschaften fordern von den betrieblichen Ersthelfern alle zwei Jahre eine Auffrischung. Ohne Vorgaben machen das die Wenigsten.

6455 Menschen starben 2020 in Bayern an einem Herzinfarkt. Wie erkenne ich einen Infarkt?
Achatz: Anzeichen können starke Schmerzen hinter dem Brustbein sein, die in den linken Arm, den Oberbauch oder den Unterkiefer ausstrahlen, ebenso ein Engegefühl in der Brust, Luftnot, Übelkeit und Erbrechen oder Todesangst. Nicht jeder plötzliche Herztod ist aber ein Infarkt. Dieser kann auch jüngere Menschen ohne konkrete Vorzeichen ereilen. Ein Beispiel sind Fußballer, die im Spiel einen plötzlichen Herztod erleiden. Wenn es doch Warnzeichen gibt, werden sie häufig beiseite geschoben. Betroffene sagen sich etwa, dass sie Schmerzen im Arm haben, weil sie was Schweres gehoben haben. Im Zweifel sollte man lieber trotzdem die 112 wählen.

Was ist zu tun, wenn es Anzeichen für einen Notfall gibt und der Betroffene noch ansprechbar ist?
Achatz: Bei akuten Herz-Kreislauferkrankungen ist der schnelle Notruf das erste Glied der Überlebenskette. Der Betroffene sollte beruhigt und hingesetzt werden, sodass der Oberkörper aufrecht gelagert ist und die Beine nach unten hängen. Hat der Patient vom Arzt verschriebene Medikamente für diese Notfallsituation, sollte er bei der Einnahme unterstützt werden. Damit der Rettungsdienst schnell zum Einsatzort findet, sollte ein Einweiser auf der Straße postiert werden.

Und wenn die Person nicht mehr ansprechbar ist?

Achatz: Erst prüft man die Atmung: Bei normaler Atmung bringt man die Person in die stabile Seitenlage und überwacht sie bis der Rettungsdienst eintrifft. Man muss jederzeit mit einem Kreislaufstillstand rechnen. Gibt es einen zweiten Helfer, kann dieser einen Defibrillator holen. Der Patient darf nicht alleingelassen werden. Wenn keine normale Atmung vorhanden ist, beginnt man mit der Wiederbelebung, auch bei präfinaler Schnappatmung. Ein AED, also ein automatisierter, externer Defibrillator, sollte so früh wie möglich eingesetzt werden, dabei folgt man einfach den Anweisungen des Geräts. Die Reanimation muss unbedingt bis zur nahtlosen Übergabe an den Rettungsdienst erfolgen.

Kann ich bei der Herzdruckmassage etwas falsch machen?
Achatz: Wiederbelebung bedeutet, dass der Betroffene klinisch tot ist. Alles was wir machen, trägt dazu bei, sein Leben zu retten. Gedrückt wird im unteren Drittel des Brustbeins: einen Handballen aufs Brustbein setzen, die zweite Hand darauf legen. Mit gestreckten Armen wird der Brustkorb etwa fünf bis sechs Zentimeter tief eingedrückt, 100- bis 120-mal pro Minute. Natürlich können Rippen brechen, doch Knochen heilen wieder, der Tod ist ein endgültiger Zustand.

Wann sollte ich als Laie einen Defibrillator einsetzen?
Achatz: Sobald wie möglich bei festgestelltem Kreislaufstillstand. Man kann nichts falsch machen. Wenn die Elektroden aufgeklebt sind und kein Schock erforderlich ist, erkennt das Gerät das und gibt auch keinen Schock frei.

Wie wichtig ist der Defibrillator für die Genesungs- und Überlebenschancen des Betroffenen?
Achatz: Nicht nur der AED ist für das Überleben des Betroffenen ausschlaggebend, sondern auch die sofortige, beherzte Herzdruckmassage. Darum lautet die Regel: Immer sofort die Herzdruckmassage starten, während jemand anders den Notruf absetzt und den AED holt. Die Defibrillation ist die einzige Möglichkeit, Kammerflimmern zu beenden und einem normalen Herzrhythmus wieder eine Chance zu geben. In jeder Minute Kammerflimmern sinkt die Überlebenschance um zehn Prozent. Durch eine beherzte Herzdruckmassage kann man die Rate auf sechs Prozent reduzieren. Im Rettungsdienst habe ich Einsätze erlebt, bei denen Ersthelfer 15 Minuten Herzdruckmassage durchführten, ehe von uns das erste Mal defibrilliert wurde. Ich erinnere mich an einen Fall, in dem die Reanimation insgesamt eine Stunde dauerte. Drei Wochen später konnte der Patient auf eigenen Beinen zur Reha gehen.

Wie viele öffentlich zugängliche Defibrillatoren gibt es derzeit ?
Achatz: Mir sind in der Stadt Passau 51 und im Landkreis 132 bekannt, was aber nicht bedeutet, dass dies alle sind, weil durch Eigeninitiativen viele weitere AED angeschafft wurden. Durch die Förderung des Landkreises im Rahmen der Gesundheitsregion kommen derzeit unter anderem Geräte in Neuhaus, Vilshofen, Aunkirchen, Kirchham und Hutthurm dazu, weitere sind durch Firmeninitiativen in Planung. Einen AED kann jeder kaufen.

Gibt es noch "weiße Flecken" auf der Landkarte?
Achatz: Die AED sind flächig verteilt, bei individueller Betrachtung gibt es aber sicher noch viele Bereiche, wo ein Gerät Sinn machen würde – vor allem in Wohngebieten, denn die meisten Kreislaufstillstände passieren daheim. Viele AED sind 24 Stunden zugängig, etwa bei Feuerwehrhäusern. Viele sind aber auch in Geschäften und Bürohäusern nur zu den Öffnungszeiten zugängig.

ERSTE-HILFE-KURSEBRK: Die nächsten Erste-Hilfe-Kurse finden Anfang September im BRK-Haus in Passau statt. Termine und Online-Buchung auf www.rotkreuzkurs.de.

Malteser: Im September gibt es Kurse in Passau, Vilshofen, Hauzenberg, Hutthurm und Waldkirchen. Termine und Anmeldung auf www.malteser-passau.de/ kurse-und-seminare/erste-hilfe-kurse.html.

 

Bild zur Meldung: "Drücken, drücken, drücken", antwortet Klaus Achatz, Leiter Rettungsdienst beim Bayerischen Roten Kreuz in Passau, auf die Frage, was bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand das Wichtigste ist. Durch eine frühe und konsequente Herzdruckmassage erhöhen sich die Überlebenschancen für den Betroffenen deutlich. −Foto: Kain